Sind Leitliniensysteme als Ergänzung zu baulichen Elementen der Wegführung erforderlich, müssen diese nach einem möglichst einfachen Konzept und einheitlichem Standard ausgeführt werden.

Taktil-visuellen Markierungen verbessern die Sicherheit und Selbständigkeit blinder und sehbehinderter Menschen. Markierungen und Leitliniensysteme zu interpretieren erfordert jedoch mehr Aufmerksamkeit und Zeit als wenn die Wegführung durch bauliche Elemente klar erkennbar ist. Sie werden daher subsidiär dort eingesetzt, wo die Orientierung im gebauten Raum mit dem weissen Stock nicht erkennbar ist. Je nach Komplexität der Situation sind punktuelle Markierungen zur Kennzeichnung von Etappenzielen und Entscheidungspunkten ausreichend oder es kann ein Leitliniensystem erforderlich sein um mehrere Ziele miteinander zu verbinden. Das Merkblatt 114 «Leitliniensystem Schweiz» beschreibt Planungsgrundsätze und Anwendung in konkreten Situationen.

Taktil-visuellen Markierungen ergänzen die baulichen Elemente, wo diese für die Orientierung nicht ausreichen, wie zum Beispiel:

  • Führung auf weiten Fussgängerflächen
  • Auffinden von Querungsstellen
  • Auffinden von Ampelmasten und Anforderungsgeräten von Fussgängerlichtsignalen
  • Auffinden von Treppen, Bedienelementen und Informationsträgern
  • Kennzeichnung der Einstiegsposition an Haltestellen

Zudem weisen sie auf besondere Situationen hin, die eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordern, zum Beispiel:

  • Treppen, wo Wege direkt darauf zuführen
  • Trottoirüberfahrten

Taktil-visuelle Markierungen dürfen nicht als alleinige Information vor einer Gefahrenstelle warnen, da ihre Interpretation ohne zusätzliche bauliche Elemente die erforderliche Sicherheit nicht gewährleistet. Sie dürfen insbesondere nicht an Stelle von Randabschlüssen zur Trennung von Fussgängerbereich und Fahrbahn eingesetzt werden. Die Markierungen weisen Personen mit Sehbehinderung auf eine besondere Situation hin. Worum es sich dabei handelt, muss an den baulichen Details im Umfeld (z.B. Ampelmast, hohe Haltekante, Randabschluss, weiterführende Leitlinien,…) ertastet werden.

Elemente des Leitliniensystems

  • Aufmerksamkeitsfelder die über die ganze Breite des Gehbereichs markiert werden, um den Beginn eines Leitliniensystems, oder punktuell einen Hinweis auf eine besondere Situation oder einen Entscheidungspunkt im Wegesystem zu geben (Querung, Position einer Treppe, eines Aufzugs,…).
  • Leitlinien, welche als Führung über weiträumige Flächen eingesetzt werden oder verschiedene Aufmerksamkeitsfelder und Nutzungen miteinander verbinden.
  • Abzweigfelder, welche eine Verzweigung oder Kreuzung der taktil-visuellen Leitlinien anzeigen.
  • Abschlussfelder, welche am Ende einer Leitlinie stehen wenn diese auf einen bestimmten Punkt, z.B. einen Ampelmasten, ein Bedienungselement, usw. führen.

Planungsgrundsätze

  • Beidseitig der Leitlinie ist ein freier Gehbereich von min. 0.60 m zu gewährleisten.
  • Punktuell kann bei einer Engstelle ein Abstand von min. 0.40 m zum Hindernis toleriert werden, wenn das Hindernis nicht entfernt werden kann.
  • Der Abstand von Leitlinien zu einer Wand beträgt min. 0.90 m,
  • Bei einfachen Richtungsänderungen werden die Leitlinien ohne Abzweigfeld weiter geführt.
  • Leitlinien schliessen in einem Winkel von 90 ± 10° an ein Abzweig- oder Aufmerksamkeitsfeld an, bei Bedarf wird ein Richtungswechsel innerhalb der Leitlinie vollzogen, bevor sie auf das Aufmerksamkeitsfeld trifft.
  • Vor abwärtsführenden Treppen wird ein Aufmerksamkeitsfeld gekennzeichnet, sofern die Treppe im Gehfluss liegt. Die visuelle Kennzeichnung der obersten Stufe muss unabhängig vom Aufmerksamkeitsfeld immer ausgeführt werden. Vor aufwärtsführenden Treppen kann ein Aufmerksamkeitsfeld die visuelle Kennzeichnung mit „Baggerzähnen“ ersetzen.
  • Führt eine Leitlinie zur Treppe, wird sie auf den Handlauf ansgerichtet, Zwischeraum zwischen Handlauf und Abschlussfeld vorzugsweise ≤ 0.10 m (max. 0.20 m).

Grundlagen

Das Leitliniensystem Schweiz wurde 1995 von der Schweizer Fachstelle, in Zusammenarbeit mit den SBB entwickelt und ist seit 2005 in der Norm SN 640 852 „Taktil-visuelle Markierungen für Sehbehinderte“ geregelt. Diese Norm gilt als Weisung des UVEK und legt für taktil-visuelle Markierungen nach SSV Art. 72 Form, Farbe und Abmessung der Markierungen fest.

Der Einsatz taktil-visueller Markierung im Verkehrsraum erfolgt nach den Grundsätzen und Schutzzielen, die in der Norm SN 640 075 «Hindernisfreier Verkehrsraum» aufgeführt sind. Zu beachten sind folgende Ziffern der Norm: 17 „Höhenüberwindung“, 18 „Wegführung“, 24 „Information und Orientierung“ sowie im Anhang Ziffer 6.3 „Treppen und Treppenwege“, 8.1 punktuelle Querungen“, 8.3 Bahnübergänge mit Schranken und 13.4 „Taktil-visuelle Markierungen“

Für die Anwendung auf Perronanlagen gelten die Ausführungsbestimmungen zur AB-EBV, Anhang 2 „Taktil-visuelle Sicherheitsmarkierungen“. Dieser Anhang wurde per 1. November 2017 und bis zur nächsten Revision der AB-EBV durch den Leitfaden «Taktil-visuelle Markierung von Bahnperrons» ersetzt.

Um festzustellen, ob im konkrete Anwendungsfall Leitlinien erforderlich sind, und welche Elemente wie anzuordnen sind, stehen in allen Kantonen spezialisierte Fachpersonen für Orientierung und Mobilität für die Beratung zur Verfügung.

 

Stand 15.11.2017