Die visuelle Kennzeichnung hoher Haltekanten wirft in der Praxis Fragen auf. Dieser Beitrag erklärt die Schutzziele und die daraus hervorgehenden Anforderungen an eine kontrastreiche Gestaltung bzw. an die Kennzeichnung hoher Haltekanten mit einer visuellen Markierung.
Warum braucht es visuelle Markierungen an hohen Haltekanten?
- Die Höhe des Absatzes ist aufgrund der Form der Randsteine für alle schwierig einzuschätzen. Eine weisse Linie warnt Fussgängerinnen und Fussgänger, die im Bereich der Haltestelle queren;
- die visuelle Markierung weist Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit auf die hohe Haltekannte hin, da sie deren Höhe nicht zweifelsfrei erkennen können;
- für Menschen mit Rollstuhl, Rollator und Gehstöcken sind die hohen Absätze nicht überwindbar, die weisse Linie weist sie auf die Absturzgefahr hin;
- dank der Markierung ist es für das Fahrpersonal einfacher mit dem Bus auf Kontakt an die Haltekante anzufahren, da sie deren Lage besser erkennen können;
- für Menschen mit Sehbehinderung wird mit der Markierung zudem deutlich, dass sie sich im Bereich einer Haltestelle befinden.
Was regeln die Normen?
Die VSS Norm 640 075 «Hindernisfreier Verkehrsraum» regelt die Erkennbarkeit wie folgt:
- nach Anhang, Ziffer 15.5, ist bei Perronhöhen von mehr als 0,20 m, die Haltekante vorzugsweise kontrastreich zu gestalten oder mit einer weissen Linie von 0,15 m Breite zu markieren.
- Zur Orientierung muss nach Anhang, Ziffer 13.5, Tabelle 4 ein Kontrast CM ≥ 0.3 erfüllt sein.
Nach Norm müssen die Haltekanten also nicht markiert werden, jedoch muss der Helligkeitskontrast zwischen dem Randstein und dem angrenzenden Belag erfüllt werden. Helle Haltekanten aus Beton weisen im Neuzustand zu einem angrenzenden Asphaltbelag in der Regel einen ausreichenden Leuchtdichtenkontrast auf, der in der Regel die Vorgabe CM ≥ 0.3 und den Mindestreflexionsgrad der Helleren Fläche von Y ≥ 40 erfüllt. Im Verlauf der Zeit wird der Kontrast jedoch stetig geringer. Der helle Beton wird aufgrund der Verschmutzung dunkler, der angrenzende Asphalt wird mit der Alterung heller. Solche Veränderungen sind fast bei allen im Verkehrsraum üblichen Materialien zu beobachten. Früher oder später kann daher auch bei Materialkontrasten die Markierung einer weissen Linie notwendig werden.
Wie sollen die weissen Markierungen angebracht werden?
Die Norm präzisiert nicht, wo die weisse Linie angeordnet werden soll. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass diese Frage jedoch sehr relevant ist:
- Der Randbereich von Bus- und Tramperrons wird im Gegensatz zu jenem von Bahnperrons nicht als «Gefahrenbereich» eingestuft. Fussgängerinnen und Fussgänger dürfen sich am Fahrbahnrand aufhalten.
- Die Perrons sind in den meisten Fällen Teil eines Trottoirs, das im Bereich des Busperron sowohl durch wartende Fahrgäste als auch durch zirkulierende Fussgängerinnen und Fussgänger genutzt wird. Die meist knapp bemesse Durchgangsbreite – Standardbreite eines Trottoirs ist 2 m – reicht nicht aus, um einen «Gefahrenbereich» mittels Sicherheitslinie abzugrenzen, der nicht betreten werden darf. Auch Perrons in Fahrbahnmitte sind dazu in der Regel zu wenig breit.
- Wenn kein Fahrzeug in der Haltestelle steht, hat die weisse Linie die Funktion einer Stufenmarkierung. Sie kennzeichnet den hohen Absatz, der mit einer Seheinschränkung von einem gewöhnlichen Randstein nicht unterscheidbar ist.
- Während dem Ein- und Aussteigen aus dem Fahrzeug muss die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Perron eindeutig und zuverlässig interpretiert werden können. Eine weisse Markierungslinie muss die relevanten Elemente verstärken und darf keine verwirrenden Muster erzeugen. 1)
- Eine taktil-visuelle Sicherheitslinie nach SN 640 852, wie sie auf Bahnperrons eingesetzt wird, ist zu schmal, um im Verkehrsraum, beispielsweise auf einem Trottoir, die angestrebte Warnwirkung zu erfüllen.2)
- Für Tramhaltestellen ist in den Ausführungsbestimmungen zur Einsenbahnverordnung AB-EBV geregelt, dass taktil-visuelle Sicherheitslinien nur dort eingesetzt werden, wo das Queren im Haltestellenbereich nicht zulässig ist.
1) Beim Ein- und Aussteigen aus dem Fahrzeug muss die Höhenlage der hintereinander liegenden Elemente (Fahrzeugboden – Trittbrett – Spalte – Perronkante – Perronfläche) visuell eindeutig interpretiert werden können, auch von Menschen mit Wahrnehmungsdefiziten. Wird zusätzlich eine weisse Linie mit Abstand zum Randstein markiert, entsteht durch die visuellen Kontraste zwischen Trittbrett, Spalte, Randstein, Belag, Markierungslinie und Belag ein Zebramuster, welches die Interpretation der einzelnen Elemente und damit die Unterscheidung zwischen Absätzen und Materialwechseln, erschwert.
2) Mit einer Breite von 0,33 m nach VSS 40 852 kann die Sicherheitslinie auf Bahnperrons ihre Funktion nur deshalb erfüllen, weil sie in ein Gesamtsystem von taktil-visuellen Perronmarkierungen eingebunden ist. Eine Person mit Sehbehinderung sucht aktiv nach der Sicherheitslinie und wird dabei ohne Unterbruch mittels baulicher Elemente und taktil-visuellen Markierungen geführt. Auf Fussgängerflächen im Verkehrsraum müsste die Markierung eine Breite von mindestens 0,6 m (eine Schrittlänge) aufweisen, um zuverlässig wahrgenommen zu werden.
Visuelle Markierung der Haltekanten:
Aus den oben aufgeführten Überlegungen ergibt sich folgende Empfehlung zur Anordnung der visuellen Markierung an Haltekanten:
Eine 0,15 bis 0,20 m breite weisse Linie wird direkt an der Perronkante, d.h. auf dem Randstein oder unmittelbar hinter dem Randstein aufgebracht.
Mit dieser Lösung ist die Schnittstelle beim Ein- und Ausstieg aus dem Fahrzeug eindeutig interpretierbar und der hohe Absatz (Trittstufe) ist gut erkennbar.
Stand 10. Juni 2024