05.10.2020 | Hindernisfreie Architektur | Medienmitteilung
Laut aktuellsten Erhebungen des Bundes[1] leben seit letztem Jahr in knapp der Hälfte aller Kantone bereits mehr ältere als junge Menschen. Mit steigender Tendenz! Und – wie wir unlängst wissen: diese Veränderung in der Altersstruktur hat ganz konkrete Auswirkungen auf unsere Wohnbedürfnisse und damit auch auf die baulichen Anforderungen. Oder wer kommt heute noch auf die Idee in seinen eigenen vier Wänden Tür- oder Balkonschwellen mit einem Absatz einzubauen? Aus Sicht einer sozialen Nachhaltigkeit können Wohnbauten heute nur zukunftsfähig sein, wenn sie auch einen Mehrwert für alle und jede Lebenslage generieren.
Die SIA 500 legt seit 2009 eine maximale Schwellenhöhe von 25 mm fest. Mit den gesellschaftlichen Verschiebungen rückt nun aber die Nullschwelle als Normdetail in den Mittelpunkt – und dies nicht nur bei Alterswohnungen. Seit ihrer Gründung 1981 setzt sich die Fachstelle dafür ein, dass Menschen mit Behinderung die Wahl haben, ob sie mit Familie, Partner*in, alleine oder in einer Wohngemeinschaft leben möchten und dies bis ins hohe Alter. Um ihre Chancengleichheit auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern, müssen alle Wohnungen konsequent anpassbar erstellt werden. Bei der Umsetzung hindernisfreier Balkontürschwellen im allgemeinen und anpassbaren Wohnungsbau besteht aber nach wie vor viel Handlungsbedarf, wie die Diskussion anlässlich des Symposiums verdeutlicht.
Neuralgische Knackpunkte
Während Roman Brantschen, Mitglied der Geschäftsleitung von Adrian Streich Architekten AG, Urs Spuler, Präsident der Fachkommission SIA 271 und Roland Bick als Vertreter der BKZ-Beratungsstelle im Kanton Zürich mit ihren Erfahrungensberichten aus der Praxis in das Thema einführten, förderte spätestens das Podiumsgespräch unter der Leitung von Joe Manser, Gründungsmitglied und Fachstellenleiter bis 2018, die neuralgischen Knackpunkte zutage. Dazu haben Jan Munzinger von Losinger Marazzi und Remo Petri von Procap Olten zusätzlich auf dem Podium Platz genommen. Deutlich wurde zunächst, dass bereits technische Lösungen existieren, sowohl für die Minimalschwelle von 25mm als auch für die sogenannte Nullschwelle. Dies untermauerten eine Vielzahl von Produktherstellern in den Pausen, die rege für den fachlichen Austausch untereinander genutzt wurden. Wie sich herausstellte, liegen die Problemstellen vielmehr in der richtigen Koordination und Kommunikation der einzelnen Schnittstellen und Prozesse untereinander. Und damit vorallem in der Verantwortung der Architekten bzw. der Planenden.
Die Betonung liegt dabei ganz klar auf dem frühzeitigen Zusammenspiel der beteiligten Gewerke. Es wird bei einer komplexen Schnittstelle wie dieser immer wichtiger – denn das Schwellendetail hat konstruktive Abhängigkeiten, die bis in den Rohbau vorgreifen, obwohl sie erst zu einem späteren Zeitpunkt eingebaut werden. Wie die Erfahrungen der einzelnen Teilnehmer zeigte, ist es nicht selten, dass das Detail der geplanten Fenstertürschwelle anfänglich gut funktioniert, aber auf dem Weg bis zur Ausführung zur Problemstelle avanciert.
Eine unmissverständliche, korrekte Ausschreibung des Details zu erstellen, die es eben nicht erlaubt, im nachhinein durch «kostengünstigere» Detaillösungen des zum Zuge kommenden Unternehmers über den Haufen geworfen zu werden, ist zwingend. Eine eindeutigere Regelung durch die sich aktuell in Revision befindende SIA Norm, die im besten Fall die Nullschwelle als Normdetail definiert, kann dies unterstützen. Nicht zuletzt hat das Zusammenspiel aber auch Konsequenzen auf die Gesamtkosten. Der Preis der Türschwelle darf bei der Vergabe und der Evaluation der Kosten nicht allein betrachtet werden. Die Wahl des Produkts beeinflusst direkt auch die Kosten für Rohbau, Bodenaufbau, Belag und Abdichtung und das Zusammenspiel der Gewerke. Die Podiumsdiskussion zeigte das sehr deutlich.
Spielräume schaffen
Zur Überraschung aller wurde klar, dass der Spielraum für die Architektur grösser ist als bisher vermutet: «Denn», so Urs Spuler, «trotz Normen ist ein gesunder Menschenverstand bei der konstruktiven Lösungsfindung genauso relevant. In der Theorie können wir nur die Rahmenbedingungen setzen» so Spuler, «aber erst mit der Projektierung und Lösungsfindung im konkreten Einzelfall – jede Baute ist ein Prototyp – gelingt eine innovative Entwicklung von guten Schwellendetails». Nicht zuletzt ist es aber auch der Bauherr der einen erheblichen Einfluss auf das Detail hat und bspw. bei der Wahl des Bodenbelags der Terrasse abwägen sollte, dass dies Konsequenzen auf die Lösung des Schwellendetails hat und mögliche Folgekosten generiert.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Nur mit diesem 360 Grad Blickwinkel hat das Nullschwellendetail das Zeug dazu der neue Standard für eine generations – und nutzerübergreifende Lösung zu werden, die Nachhaltigkeit mit Notwendigkeit kombiniert. Die Erkenntnisse und Anregungen aus dem Symposium wird die Schweizer Fachstelle in die Überarbeitung des Merkblatts Nr. 031 «Fenstertürschwellen» einfliessen lassen, das voraussichtlich im Januar 2021 publiziert wird mit dem Ziel, alle Planenden besser bei der Ausführung hindernisfreier Zugänge zu den Aussenräumen und Balkonen zu unterstützen, und in Zukunft zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Schlussfolgerungen und Massnahmen zu treffen.
[1] https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-80149.html