In den Diskussionen am Vor- wie am Nachmittag wurde rasch deutlich, dass es auf allen Ebenen Entwicklungspotential gibt: Grundsätzlich wird der hindernisfrei-anpassbare Wohnungsbau heute nicht als Design for all-Ansatz verstanden. Im Architekturdiskurs spielt der Aspekt der Hindernisfreiheit sowohl bei der Nutzungsflexibilität als auch bei der Nachhaltigkeit bis heute so gut wie keine Rolle. Stattdessen wird das Wohnbaukonzept häufig auf die Norm der SIA 500 reduziert. Zudem führten auch andere Aspekte in den Diskussionen zu wichtigen Erkenntnissen, wie etwa:
- Wettbewerbsvorteil Dank Hindernisfreiheit? Mit Hindernisfreiheit gewinnt man heute keinen Wettbewerb.
- Es könnten stärkere Anreize geschaffen werden, damit Investoren hindernisfrei anpassbare Gebäude realisieren. Für professionelle Bauherren fehlen Impulse, um tatsächlich hindernisfrei-anpassbar zu bauen.
- Es sind keine zusätzlichen Regelwerke erforderlich, sondern ein besseres Bewusstsein für deren Nutzen und Bedeutung. Mängel in der Umsetzung werden durch den vorhandenen Normenüberfluss gefördert, da er die Komplexität der Regelwerke erhöht.
- Die Bauabnahme durch die Behörden hat Potenzial für weitere Verbesserungen. Würden bei der Abnahme Korrekturen von Hindernissen eingefordert, hat dies Signalwirkung für künftige Projekte.
- Der Umgang mit Hindernisfreiheit in bestehenden Wohngebäuden muss geklärt und entsprechende Massnahmen gefördert werden. Es bestehen Unsicherheiten bei der Beurteilung von Massnahmen im Bestand.
- Sind die zuständigen Behörden flexibel, können innovative Lösungen für bestehende Gebäude gefördert werden. Im Bestand ist eine gemeinsame Suche nach Lösungen mit allen involvierten Stellen häufig zielführend.
- Das Bewusstsein für das Lebensmodell «Behinderung» kann durch gezielte Massnahmen wie Bildung weiter gestärkt werden. Menschen mit Behinderungen sind oft zu wenig sichtbar, und das Verständnis für ihre Lebensrealität ist noch unzureichend ausgeprägt.
- Verdrängung: Die Auseinandersetzung mit körperlichen Grenzen erinnert an (mögliche) eigene Schwächen. Gleichzeitig bietet sie die Chance, eigene Stärken zu erkennen und weiterzuentwickeln.
Wenn das Konzept des hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbaus bereits in der frühen Planungsphase beachtet wird, entstehen vielseitig nutzbare Räume. Dies wurde eindrucksvoll von Architekt Andreas Galliker am Projekt Langensand während der Tagung verdeutlicht. Den gut gelösten Architekturprojekten standen die Berichte aus dem Wohnalltag von Betroffenen, wie etwa Mizgeen Sayaband, gegenüber. Diese haben wichtige Impulse für einen reflektierteren Umgang mit dem „Lebensmodell Behinderung“ beigetragen. Für viele Teilnehmer, sowohl auf dem Podium als auch im Publikum, war dies nach eigenen Angaben eine «augenöffnende» Erfahrung.
Angesichts der Wohnungsknappheit, einer alternden Gesellschaft und der steigenden Zahl von wohnungssuchenden Menschen mit Behinderung – dank des Selbstbestimmungsgesetzes – ist es entscheidend, mehr Wohnraum zu schaffen, der für alle nutzbar ist. Dazu ist ein gesellschaftsfähiger Wohnbaustandard notwendig. Dies erfordert nicht nur ein Umdenken, sondern vor allem proaktives Handeln. Es ist daher entscheidend, ein klares Verständnis für den hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbau zu fördern und ein deutlich gesteigertes Bewusstsein der Entscheidungsträger zu schaffen. Nur so kann dieser Ansatz in den Wohnbaustrategien verankert werden. Erst dann werden Neu- und Umbauten für alle bewohnbar. Und – was können Sie tun?
Fordern Sie als Auftraggebende und Planende aktiv während des gesamten Planungsprozesses Hindernisfreiheit und Anpassbarkeit ein. Besonders im Bestandsbau zeigt sich bereits heute, dass Massnahmen wie «Flächenboni» oder «Ausnahmen bei Abstandsregelungen» die hindernisfreie Erschliessung erheblich erleichtern können. Um den hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbau umfassend in den Diskurs und die Ausbildung zu integrieren und gezielt in Projekten umzusetzen, sollten Sie dem Thema offen gegenüberstehen. Scheuen Sie sich nicht, sich mit körperlichen Grenzen auseinanderzusetzen, und beziehen Sie die notwendigen Fachpersonen frühzeitig ein. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der aktiven Suche nach Lösungen in jedem Projekt und der richtigen Haltung – darin waren sich alle Teilnehmer einig!
Aus diesem Grund setzen wir unser Engagement fort:
- Auf politischer Ebene: Wir setzen uns dafür ein, Anreiz- und Förderinstrumente zu implementieren. In der Wintersession im Dezember wird der Bundesrat die Interpellation Kutter „Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Wohnungsmarkt“ beantworten, die wir gemeinsam vorbereitet haben.
- Medienarbeit: Wir intensivieren unsere Medienarbeit und erstellen Informationsmaterial, um auf den hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbau als nachhaltige Lösung für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen im Wohnungsbau aufmerksam zu machen.
- Zusammenarbeit mit Hochschulen: Wir stärken den Dialog mit Hochschulen und Fachhochschulen, um das Thema besser in der Ausbildung zu verankern.
- Diskurs mit Immobilienträgern: Wir suchen den Austausch mit Immobilienträgern und Investoren – einschliesslich grosser, kommerzieller Akteure –, um sie von den Vorteilen des hindernisfrei-anpassbaren Wohnungsbaus zu überzeugen.
- Vernetzung: Nicht zuletzt vernetzen wir uns mit weiteren Akteuren, beispielsweise im Forschungsbereich, um Synergien zu schaffen und unser Anliegen zu unterstützen.
Moderation: Deborah Fehlmann, Hochparterre, Ergebnissicherung Hartmut Göhler, Dozent ZHAW, Koordination: Hindernisfreie Architektur
Begrüssung und Konzept
Eva Schmidt, Schweizer Fachstelle «Wohnraum für alle – eine Utopie?»
Dr. Marie Glaser, BWO «Hindernisfreies Bauen als gesetzlicher Auftrag»